Das Bozner Krankenhaus: Geburtsstätte „der Ausländer“

Wir veröffentlichen auf Deutsch die Artikel des Alto Adige doc, die bereits auf Italienisch erschienen sind.

Die Entbindungsstation der Krankenhäuser genießt eigentlich nur in der Neujahrsnacht ein beachtenswertes mediales Interesse, wenn auf den Namen und das Gewicht des im Jahr Erstgeborenen gewartet wird. Allen diesbezüglichen Fans sei gesagt, dass die 2019 in Südtirol Erstgeborene ein marokkanisches Mädchen war, das am 1. Januar um 5:56 Uhr das Licht der Welt erblickte. Die Erstgeborene von 2018 war Esraa Kanzane (2,6 kg) und im Jahr 2017 tat Hakima ihren ersten Atemzug, das sechste Kind einer marokkanischen Familie aus der Palermostraße in Bozen. Rai News berichtete Anfang 2019: „In der Provinz Bozen sind alle Erstgeborenen seit 2016 marokkanischen Ursprungs.“

Die lange Reise von Südtirol.doc beginnt einen Monat nach Neujahr.
Es ist in den Nachmittagsstunden eines sonnigen Tages im Februar, als der Bus 10/A (Wasserstoffausführung mit Brennstoffzelle) mit dem Ziel „Krankenhaus“ pünktlich anhält. Er ist eindeutig überfüllt und leert sich erst, als die Haltestelle des Krankenhauses erreicht ist.
Der größte Teil der Reisenden drängt dem Haupteingang zu. Obwohl es 15:30 Uhr an einem Werktag ist, hat man den Eindruck, man hätte das Einkaufszentrum am ersten Wochenende des Schlussverkaufs erreicht. Um zur Entbindungsstation zu gelangen, muss die Eingangshalle durchquert und der blaue Aufzug in den dritten Stock genommen werden.
Von den acht mitfahrenden Personen steige nur ich an der Entbindungsstation aus. Ein kurzer Text auf einem Schild bittet die Verwandten, nicht zu stören und sich korrekt zu verhalten. Diese Regeln werden zweifelsohne eingehalten, denn es herrscht souveräne Stille. Eine Mutter schreitet die Korridore entlang und wiegt ihr Neugeborenes, eine andere zeigt ihr in der Wiege liegendes Kind den geliebten Großeltern, andere Mütter reden mit Verwandten, während die Säuglinge schlafen. Besucher dürfen die Zimmer nicht betreten, aber von außen sehen sie nicht allzu überfüllt aus. Von den vier Müttern, denen ich begegnet bin, sind zwei Ausländerinnen, eine offensichtlich aus Südamerika, und zwei Einheimische.
Leider gibt es nicht viel mehr als dies zu sehen, daher geht es zum Ausgang, um den Bus für die Rückfahrt zu nehmen. Während des Wartens kontrollieren fast alle ihre Smartphones, bis wir eine Mutter mit einem Kinderwagen durchlassen müssen, die auf eine ältere Frau mit Rollator und Betreuerin trifft. Nur die Betagte ist einheimisch, die Betreuerin stammt aus Osteuropa, die Mutter ist Asiatin, auf die Nationalität ihres Kindes kommen wir später zu sprechen, während uns der Produktionsort des Rollators nicht bekannt ist. Es wäre zu einfach, aus diesem Treffen eine Prognose über die Zukunft Italiens herzuleiten. Aber wir haben Daten versprochen und, bitteschön, hier sind sie:
Die Gesundheitsbeobachtung verfügt noch nicht über die Daten von 2018, informiert uns aber, dass 1736 Kinder im Jahr 2017 im Bozener Krankenhaus geboren wurden, davon 69,59 % italienischer Staatsbürgerschaft und 30,41 % „Ausländer“. Sicherheitshalber fragen wir auch bei Astat nach. Auch die Daten von Astat beziehen sich auf 2017, jedoch berücksichtigen sie alle Anwohner der Gemeinde Bozen, und nicht das Krankenhaus: „Im Jahr 2017 wurden 311 Kinder von Müttern mit ausländischer Staatsangehörigkeit und 564 Kinder von Müttern mit italienischer Staatsangehörigkeit geboren.“ In Prozent ausgedrückt, wurden 35 % der Kinder von Müttern mit ausländischer Staatsangehörigkeit geboren.
Das heißt, eines von drei in Bozen geborenen Kindern ist Ausländer. Versuchen wir, dies in
andere Worte zu fassen, um uns nicht auf die Zahl zu versteifen.
Von drei hier geborenen Kindern gilt ein Kind als Ausländer, und wenn die Gesetze sich nicht ändern, dann bleibt es Ausländer, bis es erwachsen ist. Selbst wenn es die Landesgrenzen oder den Staat Italien niemals verlässt. Es sind Kinder, die hier geboren werden, hier zur Schule gehen und einer der Südtiroler Sprachgruppen zugeordnet werden (Italienisch, Deutsch oder Ladinisch, gemäß ethnischem Proporz), aber immer Ausländer bleiben. Ein weiterer Wert beschreibt das Phänomen noch besser: Vier von fünf Kindern mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die einen Kindergarten besuchen, sind in Italien geboren.

 

Massimiliano Boschi

Erschienen am 16. Februar 2019

Dieser Artikel wurde im Band ‘Südtirol doc. Eine Reise jenseits der Stereotypen” veröffentlicht.

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