Selbstmorde und Lebensqualität: Reale Daten, richtig gelesen

Ist Südtirol eine glückliche Insel? Wie die vorangegangenen Artikel hoffentlich zeigten, ist Südtirol bestimmt keine Insel, aber wie steht es um die Glückseligkeit? Einige sagen, die Südtiroler Gesellschaft sei eine glückliche: „Die Platzierungen bei der Lebensqualität in Italien zeigen dies!“ Und andere sagen, sie sei vielmehr unglücklich: „Es reicht ein Blick auf die Selbstmordrate!“   Grundlage beider Theorien sind Zahlen, die zumindest theoretisch nicht lügen sollten.

Beginnen wir also mit den Zahlen, vor allem mit jenen bezüglich des allseits bekannten Problems der vielen Selbstmorde. „Südtirol hat durchschnittlich einen Selbstmord pro Woche“, lauten die Schlagzeilen vieler lokaler Medien. Tatsächlich bestätigt das Institut ISTAT diese Zahl. 2016 lag die Südtiroler Selbstmordrate bei 1,08 pro zehntausend Einwohner (das sind 10,8 pro 100.000) bzw. etwa fünfzig pro Jahr (wahrscheinlich etwas weniger). Mit dieser Zahl liegt Südtirol auf dem zweiten Platz in Italien. Die erste Stelle nimmt das Aostatal ein. Dessen Rate liegt bei 1,47 pro 10.000 Einwohner. Platz drei und vier gehen an Sardinien (1,03) und das Trentino (0,93). Drei von vier Provinzen besitzen als gemeinsames Merkmal ihre Lage in den Bergen. Vier von vier besitzen eine „Autonomie“ – das kann nun jeder beurteilen, wie er möchte.

Vergrößert man das untersuchte Gebiet jedoch auf ganz Europa, ergibt sich für die Selbstmordrate von Südtirol, dass diese unter dem europäischen Durchschnitt liegt (10,8 entgegen 11). Insgesamt besitzt Italien eine der niedrigsten Selbstmordraten in Europa. Nur die von Griechenland und Zypern sind noch geringer.

Zurückkommend auf die Südtiroler Daten ist der sinnvollste Vergleich wahrscheinlich der mit den Daten des österreichischen Tirol. Die dortige Selbstmordrate schwankte in den letzten fünf Jahren zwischen 14 und 15 (entgegen 10,8 in Südtirol), was in etwa dem österreichischen Landesdurchschnitt entspricht.
Die Tiroler Tageszeitung veröffentlichte die Anzahl der Suizidfälle des letzten Jahres: „2018 gab es in Tirol 105 dokumentierte Suizide“.
Für die Österreicher ist jedoch die Selbstmordrate in der Steiermark am bedenklichsten. Sie liegt mit 20 Selbstmorden pro hunderttausend Einwohner fast doppelt so hoch wie die in Südtirol. Aber von den Zahlen abgesehen: Lässt sich das Glück einer Bevölkerung wirklich bewerten? Ist Glück nicht eine individuelle Empfindung? Sagt die Selbstmordrate etwas über das Glücksgefühl einer Bevölkerung aus, oder deutet sie auf etwas anderes hin?

Nachdem nun Klarheit über die Selbstmordzahlen herrscht, sind unsere nächsten Punkte die Rangliste über Lebensqualität und Freizeit. Vor jeder Analyse dieser Art muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Ranglisten jedes Jahr von Zeitungen veröffentlicht werden. Sie sind daher mit Bedacht zu betrachten. Dennoch ist klar, dass nach ihrem Erscheinen keine großen Feste gefeiert werden. Hinsichtlich Südtirol sollte außerdem noch größere Umsicht an den Tag gelegt werden. Ein Beispiel dafür sind die Daten über die Hochschulabsolventen. Hier liegt die Provinz Bozen meistens am Ende der Rangliste. Diesen Sachverhalt überprüfte ich anlässlich der eigens von der Zeitung „Sole 24 ore“ erstellten Rangfolge persönlich. „Die Daten“, wurde mir erklärt, „stammen vom Ministerium für Universität und Forschung. Sie umfassen nur Absolventen italienischer Universitäten.“ Die Daten benachteiligen die Provinz Bozen also stark, weil fast 40 % der Hochschulabschlüsse an österreichischen Universitäten gemacht werden.

Kürzlich hat „Sole 24 Ore“ eine Rangfolge zum Freizeitverhalten veröffentlicht, in der Bozen den 24. Platz einnimmt. Bozen liegt also vor Bologna, auf dem 25. Platz, aber nach Orten wie beispielsweise Grosseto, Görz oder Fermo. Diese Zahlen sorgten natürlich für einige Verwirrung. Zum Glück enthält die Website von „Sole 24 Ore“ alle Nachweise, die zu diesem Ergebnis führten. Die touristische Dichte (Touristen pro Quadratkilometer) liegt in Bozen beispielsweise hinter der von Rimini, Venedig oder Neapel (aber auch hinter der von Livorno). Daran ist auch nichts zu beanstanden, jedoch liegt Bozen bei der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer nur an 18. Stelle; in dieser Kategorie glänzen Crotone, Fermo, Vibo Valentia und Teramo.
Bei solchen Ergebnissen, bei denen Zahlen nichts aussagen, kommt der gesunde Menschenverstand ins Spiel. Bozen verliert zwar Plätze in dieser Rangfolge, aber das ist nicht das Thema dieses Artikels. Wenn jedoch laut der touristischen Dichte Fermo und Teramo an erster Stelle liegen, wird klar, dass dieser Wert nicht dabei hilft, eine genaue Vorstellung von der touristischen Attraktivität der verschiedenen italienischen Provinzen zu erhalten. In der Gesamtbewertung wird auch die Anzahl der Ferieneinrichtungen „auf dem Bauernhof“ pro 1.000 km berücksichtigt. Dies ist ein Glück für Südtirol, da es sich hier hervortut (nicht überraschend ist es Spitzenreiter). Der 24. Platz in der Gesamtbewertung muss also andere Gründe haben. Tatsächlich deklassiert hauptsächlich ein Wert die Provinz Bozen sehr, es ist die Anzahl der Buchhandlungen. Mit nur 3,6 Buchhandlungen pro 100.000 Einwohner (18 Buchhandlungen sind es insgesamt) belegt Bozen den drittletzten bzw. den 105. Platz.

Eine Google-Suche von „Buchhandlungen Bozen“ ergibt jedoch zwanzig Ergebnisse. Selbst unter Verwendung sehr selektiver Auswahlkriterien wird allein für die Landeshauptstadt mindestens ein Dutzend angezeigt. Addiert man die fünf in Meran und die vier in Brixen, sind es bereits mehr als zwanzig, wobei die über das restliche Land verstreuten Buchhandlungen noch nicht eingerechnet sind. Nachdem nun einige Daten dieser Ranglisten hervorgehoben wurden, könnten wir auch andere Zahlen hinzuziehen, die in den Medien nicht so große Aufmerksamkeit erhalten. Beispielsweise die Daten über tödliche Verkehrsunfälle in Europa. Die von der Zeitung „Quotidiano Sanità“ veröffentlichten Eurostat-Daten zeigen, dass Südtirol im Jahr 2016 hinsichtlich der tödlichen Unfälle den ersten Platz unter den italienischen „Regionen“ einnahm und weit über dem nationalen Durchschnitt lag (73 gegenüber 54 pro Million Einwohner). Eine Verbesserung dieser Statistik ist zu Ende dieses Sommers leider nicht in Sicht.

Abschließend noch eine Überlegung hinsichtlich eines Themas, das in dieser Kolumne bereits oft erörtert wurde: der touristische Druck. Die entsprechende ISTAT-Rangfolge, die diesbezüglich die Touristenanzahl mit der Einwohneranzahl der Gemeinden vergleicht, ergibt zwei Südtiroler Ortschaften unter den 10 ersten Plätzen und sechs unter den 20 ersten.
Corvara hält den dritten Platz in Italien. Der Ort mit seinen 1.300 Einwohnern wurde von 969.000 Touristen besucht. Wolkenstein in Gröden hält mit 2.600 Einwohnern und 1.200.000 Touristen den neunten Platz.

 

Massimiliano Boschi

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